DIE GETRÄUMTEN
Um Liebe und Hass, um richtige und falsche Worte, geht es in dem Film „Die Geträumten“. Im Zentrum stehen Ingeborg Bachmann und Paul Celan, die sich im Nachkriegswien kennengelernt haben. Deren Briefwechsel bildetdie Textgrundlage.
Die dramatische, rauschhafte, aber auch unendlich traurige Liebesgeschichte zwischen Bachmann und Celan beginnt 1948, als sie 22 und er 27 Jahre alt ist, und sie endet mit dem Suizid Celans 1971 in Paris. Für Ingeborg Bachmann ist es die große Liebe ihres Lebens, und doch hört sie nie auf, in ihm den Fremden zu sehen und ein bisschen wohl auch zu fürchten: einen Juden aus Czernowitz, dessen Eltern im Holocaust umgekommen sind, während sie selbst nichts dergleichen erlebt hat. Sie liebt ihn und stößt an Grenzen, an ihre eigenen und an seine. Es geht nicht immer nett zu in diesen packenden Briefen. In einem Moment des Zweifels fragt sie: „Sind wir nur die Geträumten?“
Zwei junge Schauspieler, Anja Plaschg und Laurence Rupp, treffen sich in einem Tonstudio, um daraus zu lesen. Die dramatisch schwankenden Gefühle der Briefe – zwischen Rausch und Verlustangst, Entzücken und Erschrecken, Nähe und Fremdheit – gehen auf die Schauspieler über. Aber sie amüsieren sich auch, streiten, rauchen, reden über Tattoos und Musik. Ob die Liebe damals oder die Liebe heute, ob Inszenierung oder Dokumentation: Wo die Ebenen verschwimmen, schlägt das Herz des Films.
Alles ist immer auch das Gegenteil. Die Medien erzählen uns gerne, dass wir
in einer Zeit der Vergletscherung der Gefühle, der Vereinsamung im Internet-Supermarkt der Liebespartner leben. Gleichzeitig steigt das Bedürfnis nach
Auseinandersetzung mit authentischen Erlebnissen und Gefühlen. Die
klassischen großen Liebesgeschichten haben nichts an Aktualität eingebüßt.
Ingeborg Bachmann und Paul Celan gehören in die Reihe großer, moderner Liebender. Ihre Liebe ist einerseits einzigartig, sie steht aber auch
paradigmatisch für die Möglichkeit und Unmöglichkeit einer Begegnung
nach der Katastrophe des Krieges und der Vernichtung.
Die wohl wichtigsten deutschsprachigen Dichter der zweiten Hälfte des
20. Jahrhunderts ringen um jene Fragen, die ich mir selbst immer wieder gestellt habe: Was bedeutet Liebe in unserer modernen bzw. post-modernen Zeit? Wie viele Generationen weit reicht die Zerstörung von Empathie und
Vertrauen durch die NS-Ideologie in deren Kernländern Deutschland und
Österreich? Sind Leben und Kunst vereinbar?
Ruth Beckermann